Ich fotografiere tote Kinder.

Dieser Blogeintrag wird etwas anders als die vorherigen - denn es ist ein Einsatzbericht.

Mein erster Einsatz, einen Tag nach Weihnachten - wie lange habe ich mich darauf vorbereitet... Unzählige Berichte gelesen, Bilder angeschaut, eine Sternchen-Ausstattung angelegt, mit meiner Tochter Fimo-Engelchen als Erinnerung für Sternchen-Eltern gebastelt. Seit ein paar Wochen bin ich bei "Dein Sternenkind" (www.dein-sternenkind.eu) ehrenamtlich als Fotografin registriert. "Dein Sternenkind" gibt Eltern die Möglichkeit, kostenlos Bilder von Ihrem Baby zu erhalten. Sternenkinder sind Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt versterben. Das Zeitfenster für Fotos ist sehr klein.

Die Entscheidung war gefallen und ich stehe 100% dahinter. Und trotzdem schlug mir das Herz bis zum Hals, als der Anruf aus dem Kreißsaal kam, auf den ich schon 16 Stunden lang durch den Alarm auf dem Handy eingestellt war. Perfekt vorbereitet, das Equipment und die Accessoires lagen bereits im Auto. Ich bin gut organisiert und das half mir enorm. Einen "Plan" zu haben gibt Sicherheit, auch wenn ich gar nicht genau wusste, was mich im Krankenhaus erwartet. Den Anruf bekam ich, als ich gerade mit meiner eigenen Familie aus dem Möbelhaus "stolperte".

"Das Baby ist jetzt da. Können Sie kommen?". Natürlich. Ich war bereits in Recklinghausen, sodass mein Mann mich innerhalb weniger Minuten am Krankenhaus absetzen konnte. Ich war so nervös. Aber gleichzeitig auch stark in diesem Moment.

Vor der Kreißsaal-Tür holte ich noch einmal tief Luft, bevor ich die Klingel drückte und mich eine liebe Hebamme begrüßte: "Schön, dass  Sie da sind. Meine Kollegin bringt sie gleich zur Familie, sie betreut sie."

Wenige Sekunden später begrüßte mich dann die Hebamme des kleinen Conners. Sie nahm mich direkt mit in den Raum und sagte "Schauen Sie mal, ich habe ihn schon hübsch gemacht. Ist er nicht süß?"

Da lag er. Und mein Herz zersprang in diesem Moment wohl in 1000 Einzelteile. Warum atmet er denn nicht - dachte ich nur und mir liefen ein paar Tränen herunter.

Ein perfekter kleiner Junge aus der 33. Woche, keine Anzeichen, warum sein kleines Herz nicht mehr schlagen wollte. Ich wollte ihn am liebsten direkt in den Arm nehmen und ganz feste an mich drücken. Es war wirklich so furchtbar traurig.

Dies war aber der falsche Raum, sich von diesem Gefühl mitreißen zu lassen. Schließlich gab es einen "Auftrag". Einen wichtigen! Die Eltern haben es verdient, in den nächsten Minuten eine starke Person kennenzulernen. Ab jetzt muss ich mich zusammenreißen. Und das tat ich auch.

Die Hebamme war super. Sie sagte "Ich stelle Ihnen jetzt erstmal die Eltern vor und wir nehmen Connor direkt mit rüber. Seine Eltern haben eben schon mit ihm gekuschelt."

Dann sind wir in den Raum nebenan, wo ich auf eine gefasste, traurige Mama und einen Papa mit nassen Augen traf.

Obwohl ich beide nicht kannte, waren Sie mir beide plötzlich so nah. Ich umarmte den Papa und hielt die Hand von Connors Mama... sie drückte sie so fest und wollte gar nicht mehr loslassen. Lange sagten wir Garnichts und schauten uns einfach nur dieses kleine perfekte Baby an.

"Connor, warum machst du nicht die Augen auf?" dachte ich immer wieder...

Was war das überhaupt für eine komische Situation? Connor war gerade 1,5 Stunden auf der Welt - Freude über die Geburt und das Baby; Trauer zugleich. Ein Kennenlernen, dass auf wenige Stunden begrenzt ist. Verzweiflung.

Ich nahm meine Kamera, nahm die nötigen Einstellungen vor und dann fing ich einfach an Fotos zu machen. Familienfotos. Die ersten und die letzten. Es wird nie wieder die Möglichkeit für andere Erinnerungen geben. Ach Connor...

Während Connor in den Armen seiner Eltern lag, lächelten beide plötzlich und fingen an, über die Details ihres Sohnes zu sprechen und was er von wem haben könnte. "Er schläft nur.", sagte seine Mama immer wieder. Irgendwie war die Situation auch so abstrakt, dass man gar keinen anderen Gedanken zulassen wollte.

Ich bereitete ein kleines Körbchen vor mit Sternen aus Stoff, weicher Wolle und einem kleinen Fimo-Engel.
Ich nahm den kleinen Connor auf den Arm und legte ihn hinein. Es war überhaupt nicht komisch für mich. Irgendwie "normal", so wie ich es immer bei Neugeborenenbildern mache. Es fühlte sich für mich in diesem Moment nicht anders an, als bei einem noch lebenden Kind.

Dann machte ich ein paar Detailaufnahmen von Gesicht, Händen und Füßen. Das wird den Eltern später helfen, sich zu erinnern, wenn die Erinnerungen verblassen.

Danach übergab ich den Fimo-Engel in einem kleinen Säckchen an den Papa. Connor legte ich noch einmal zu seiner Mama auf die Brust.

Beide Eltern bedankten sich bei mir, dass ich das gemacht habe für sie. Wir tauschten Adressen und Nummern aus.

Wir drückten uns alle noch einmal ganz feste, dann ging ich.

Im Fahrstuhl wurde mir dann erst bewusst, was ich da gerade erlebt habe. Ein Kind war gestorben. Und dann liefen die Tränen.

Nachdem ich nun eine Nacht über alles geschlafen habe, bin ich stolz darüber, dass ich es geschafft habe, mich zum richtigen Zeitpunkt zusammenzureißen und "da" zu sein.

Es ist wahr - man wächst mit seinen Aufgaben. Und Du, kleiner Connor, bleibst für uns alle UNVERGESSEN!

Wir werden uns wieder sehen! Bis dahin mache ich hier auf der Erde weiter und versuche, noch ein bisschen mehr zurück zu geben...

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